Wenn Frauen vergewaltigt wurden oder von einem anderen sexuellen Übergriff betroffen sind, dann stehen sie vor der Frage, ob sie Anzeige erstatten sollen. Vielen fällt dies schwer – besonders, wenn der Täter aus dem familiären Umfeld oder dem Freundeskreis kommt. Bei dieser Frage stehen sie auch noch unter zeitlichem Druck: Schließlich lassen sich gerichtsfeste Spuren am besten unmittelbar nach der Tat sicherstellen. Abhilfe kann hier die „Vertrauliche Spurensicherung“ schaffen.
Lena Sauerland, Mitarbeiterin der Frauenberatung Soest berichtete über den aktuellen Stand der Umsetzung im Kreis Soest im Lippstädter Gleichstellungsbeirat im Februar 2024. „Im Moment gibt es keine Vertrauliche Spurensicherung im Kreis Soest, was uns sehr frustriert. Wir haben alles fertig, wissen aber nicht, wann es losgehen kann“, so Sauerland.
Modell im Kreis Soest verzögert sich
Im Kreis Soest sind für Frauen und Mädchen zwei Anlaufstellen für die Vertrauliche Spurensicherung geplant: das Evangelische Krankenhaus in Lippstadt und das Klinikum Stadt Soest. Für Männer ist dies die Urologie am Marienhospital Erwitte, womit das Krankenhaus eine landesweit einzigartige Rolle einnähme.
Für das Projekt „Vertrauliche Spurensicherung“, über das schon seit mehreren Jahren im Kreis Soest diskutiert werde, hat die Frauenberatung bereits eine fertige Aufklärungs- und Info-Kampagne in der Schublade. Der Slogan: „Es ist deine Entscheidung“. Doch noch hängen die Plakate bzw. liegen die Flyer nicht in Arztpraxen, Behörden, Jugendzentren, Schützenhallen etc. aus. „Die Kampagne ist zwar fertig, aber wir können angesichts der unklaren Finanzierung bei der Vertraulichen Spurensicherung nicht damit starten“, stellt Sauerland mit großem Bedauern fest. Denn es hakt an der Kostenübernahme.
Krankenkassen, Ministerien und rechtsmedizinische Institute müssten sich hinsichtlich der Abrechnung einigen. Zwar sei schon im Jahr 2020 ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht worden, nachdem die Kassen für Labor- und Aufbewahrungskosten zahlen müssten. Die Realität aber sei, dass es für das Projekt im Kreis Soest an den notwendigen Regelungen fehle. „Die Verhandlungen sind immer noch nicht abgeschlossen“, so Sauerland.
Beweise sichern
Solange das so ist, gilt nach wie vor, dass ohne Anzeige Tatspuren an heimischen Kliniken im Regelfall nicht gesichert werden und damit bei einem späteren Strafverfahren nicht als Beweismittel zur Verfügung stehen. „Oder die Frauen müssen in der traumatischen Situation erst bis nach Dortmund fahren, um nach einem Übergriff vertraulich Spuren sichern lassen zu können“, berichtet Lena Sauerland.
Grundsätzlich lautet der Rat von Lena Sauerland: „Auch wenn klar ist, dass die Betroffene Anzeige erstatten will: der erste Weg sollte in die Klinik gehen und nicht erst zur Polizei.“ Sonst sei es für eine Spurensicherung „oft zu spät“, sagte sie etwa mit Blick auf K.o.-Tropfen, die nicht lange nachweisbar seien.
Spuren sichern vertraulich
Mit der sogenannten Vertraulichen Spurensicherung haben die Opfer genügend Zeit, sich zu überlegen, ob sie zur Polizei gehen. Abstrich, Proben, Kleidung und andere Spuren werden – ungeachtet der Frage, ob sich die Frau zur Anzeige entschließt – im Krankenhaus gesichert und mehrere Jahre mittels eines Codes in anonymisierter Form in der Rechtsmedizin aufbewahrt. So ist die Idee, jedoch hakt es bei der Umsetzung im Kreis Soest.
Lena Sauerland berichtet, dass den Betroffenen die Entscheidung für oder gegen eine Strafanzeige oft schwerfalle. In den allermeisten Fällen würden sie keine Anzeige erstatten. Frauen - und in selteneren Fällen auch betroffene Männer - stünden unter Schock, seien aufgrund des Erlebten nicht belastbar. „In der Regel sind die Täter Menschen, die die Frau oder das Mädchen kennt“, fügt die Mitarbeiterin hinzu. Und diese würden dann „nicht so schnell angezeigt“.
Zeit gewinnen zu entscheiden
Andererseits bedeute schnelles Entscheiden die Sicherung der Beweise: Ohne eine Sicherung der Spuren – wie z.B. Verletzungen, Sperma oder DNA - fehlten in einem späteren Ermittlungs- bzw. Gerichtsverfahren wichtige Beweise. „Dann steht Aussage gegen Aussage. Und das geht dann selten so aus, wie es im Sinne der Betroffenen ist“, weiß Sauerland.
Sind die Spuren aber rechtzeitig gesichert worden, dann kann die Betroffene auch erst nach einem halben Jahr oder zwei, drei Jahren den Entschluss fassen, den Übergriff zur Anzeige zu bringen. „Wenn die Betroffene entschieden hat, kann sie mit dem Code zur Polizei gehen. Die in der Rechtsmedizin lagernden Spuren können dann zugeordnet werden“, erläutert die Mitarbeiterin der Frauenberatung Soest. „Die Vertrauliche Spurensicherung ermöglicht Zeit. Zeit über den Schritt, zur Polizei zu gehen, ohne zeitlichen Druck nachzudenken.“